Bedrohungswahrnehmung und Bedrohungsbewältigung – Geistliche Frauengemeinschaften in Säkularisation und Aufklärung

Bedrohungswahrnehmung und Bedrohungsbewältigung – Geistliche Frauengemeinschaften in Säkularisation und Aufklärung

Organisatoren
Sigrid Hirbodian / Tjark Wegner / Sophie Prasse / Agnes Schormann, Projekt G02: „Geistliche Frauengemeinschaften im 18. Jahrhundert: Ordnungsvorstellungen und Bedrohungskommunikation in Aufklärung und Säkularisation“, SFB 923 „Bedrohte Ordnungen", Eberhard Karls Universität Tübingen
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
23.03.2023 - 24.03.2023
Von
Agnes Schormann, Eberhard Karls Universität Tübingen

Während der Säkularisation und der Aufklärung wurde das geistliche Leben grundsätzlich in Frage gestellt, was zu heterogenen Reaktionen der Betroffenen führte: Dabei reichte das Spektrum bei geistlichen Frauen von der Entwicklung einer „Hochleistungsfrömmigkeit“ bis zur Annahme aufgeklärten Gedankenguts, was zu einer Suche nach vermeintlich „nützlichen“, alternativen Lebensformen und zu einer Infragestellung der bisherigen Lebensweise führte. Bei der internationalen Tagung des Teilprojekts G02 des Sonderforschungsbereichs 923 „Bedrohte Ordnungen“ unter der Leitung von Sigrid Hirbodian wurden unterschiedliche Themen dieser Zeit, der Umgang der Betroffenen in verschiedenen Quellen und viele weitere Aspekte untersucht, vorgestellt und diskutiert. Die Tagung machte einige Parallelen des 18. und 19. Jahrhunderts mit den Reformen des Mittelalters, aber vor allem mit der Reformation des 16. Jahrhunderts deutlich, womit an das Vorgängerprojekt im Sonderforschungsbereichs angeknüpft werden konnte.

Die Tagung war in vier Sektionen aufgeteilt, wobei sich die erste mit europäischen und württembergischen Kontexten dieser Zeit beschäftigte und so eine Rahmung des Themenkomplexes erlaubte. Diese Sektion eröffnete AMELIE BIEG (Würzburg) mit einem Vortrag über Konflikte um aufgeklärte Reformen im katholischen Frömmigkeitswesen in Württemberg. Bieg untersuchte die Reaktion der katholischen Bevölkerung auf Reformen und stellte Anhand zweier aussagekräftiger Beispiele fest, dass sich die katholische, neuwürttembergische Bevölkerung seit 1803 durch die politischen und kirchlichen Neuordnungen und Umbrüche bedroht sah und gleichermaßen ein Unverständnis über die Maßnahmen der aufgeklärten Staatskirchenpolitik bestand, was teilweise zu heftigen Reaktionen seitens der katholischen Bevölkerung führte. Die Einführung der Gottesdienstordnung von 1838 in der Diözese Rottenburg führte etwa in verschiedenen oberschwäbischen Gemeinden zu Bittschriften, welche direkt an den König adressiert waren. Dies waren Unterschriftenlisten der Bevölkerung, die die neue Gottesdienstordnung als Rechtsbruch ansah, daher baten die Gemeinden um Aufhebung der Einschränkungen in ihrem Gottesdienstwesen. Bieg konnte zeigen, dass der katholischen Bevölkerung verschiedenste Möglichkeiten der Konfliktaustragung bekannt waren und die Menschen wussten, wie sie sich gegen die Reformen ihrer Glaubenspraktiken, wenn auch nicht immer erfolgreich, wehren konnten. DENNIS SCHMIDT (Hagen) analysierte in einem anschaulichen Vortrag zu antimonastischer Publizistik der Aufklärungszeit, wie der deutschsprachliche Diskurs über das Leben der Mönche und Nonnen in verschiedensten literarischen Gattungen geführt wurde. Die Autoren konstruierten, so Schmidts Thesen, Nonnen als passive Opfer, wohingegen Mönche als Bedrohung angesehen wurden. Schmidt zeigte dabei die geschlechterspezifische Emotionszuschreibung in den Schriften, etwa Nonnen als leidende Frauen, die aus ihrem Klostergefängnis gerettet werden mussten, im Gegensatz zu Mönchen, als hasserfüllte Männer. Es ließe sich außerdem ein Unterschied zwischen jungen und alten Nonnen ausmachen; das zeichnet sich vor allem durch eine Darstellung der älteren Damen als bissig und verbittert aus. Verteidigt wurden die Geistlichen lediglich von Funktionsträgern der katholischen Geistlichen und nicht etwa seitens der Bevölkerung. Einen Schwerpunkt dieser antimonastischen Publizistik sieht Schmidt in den 1770er- und 1780er-Jahren – eine Zeit, welche durch die josephinischen Klosteraufhebungen eine Dynamisierung fand.

Die zweite Sektion widmete sich der Bedrohung geistlicher Lebenswelten von Frauen- und Männerkommunitäten in der Zeit der Aufklärung und Säkularisation in vergleichender Herangehensweise. Eröffnet wurde sie durch WOLFGANG WÜST (Erlangen-Nürnberg) mit dem Vortrag „Herzflimmern – Korrespondenz aus süddeutschen Frauen- und Männerklöstern vor der Säkularisation“. Wüst spannte einen weiten Bogen vom 16. zum 18./19. Jahrhundert und bemerkte dabei, dass jeweils das Motiv der Angst in Zeiten der Bedrohung auch in der Korrespondenz präsent war. Vor diesem Hintergrund verglich er den Umgang der Nürnberger Nonne Caritas Pirkheimer mit der Bedrohung durch die Reformation im 16. Jahrhundert mit dem des Priors Benedikt Bader der Reichsabtei Elchingen im ausgehenden 18. Jahrhundert. Seine beiden Exempla zeigten, so Wüst, dass sich die verschiedenen Ebenen von Bedrohungserfahrungen in unterschiedlichen Quellentypen widerspiegeln. Ausgehend davon bekräftigte er die Relevanz von Fallbeispielen neben der Typologie in der Untersuchung der Bedrohungswahrnehmung. Einen ebenfalls vergleichenden Zugang zu männlichen wie weiblichen Konventen wählte TJARK WEGNER (Tübingen). In seinem Beitrag zu bedrohten Ordnungen in neuzeitlichen Stiftschroniken verglich er zwei chronikale Schriften des Wengenstifts (Ulm) mit der Inzigkofener Chronik. Dabei konnte er die Bedeutung der historischen Spezifika der jeweiligen geistlichen Gemeinschaften für den Umgang mit der eigenen Vergangenheit angesichts der durch die Säkularisation drohenden Auflösung zeigen. Wegner betonte, wie ältere Bedrohungen in das kollektive Bewusstsein der geistlichen Einrichtungen Eingang fanden und diese wiederum – auch vor dem Hintergrund der überzeitlichen Memoria-Funktion der Stifte – Einfluss auf die Neuverortung sowohl der kollektiven Identität als auch der Selbstverortung in der Geschichte der geistlichen Einrichtungen angesichts akuter Bedrohungen nahmen.

Die dritte Sektion der Tagung befasste sich mit den klösterlichen Lebenswelten am Vorabend der Säkularisation. Den Auftakt machte CHRISTINE SCHNEIDER (Wien) mit einem Vortrag zur aus dem 18. Jahrhundert stammenden Konventchronik der Wiener Ursulinen, wobei sie deren Spezifika aufzeigen konnte: Die Ursulinen waren als Schulorden nicht von der Klosteraufhebung betroffen und nahmen daher Nonnen anderer, nun geschlossener Klöster auf. Das führte häufig zu inneren Konflikten und dementsprechend zu Beschwerden über die „fremden“ Klosterfrauen. Die Ursulinen versuchten trotz zahlreicher Einschränkungen und Veränderungen ihres alltäglichen Lebens, wie etwa die Aufhebung zahlreicher Feiertage, ihre konventsinterne Praxis aufrechtzuhalten. Die Zeit der Aufklärung brachte für die Wiener Ursulinen, so Schneider, finanzielle Einbußen, einen Prestigeverlust, eine geänderte Lebensweise und ein geändertes Umfeld, außerdem wandelte sich die soziale Zusammensetzung des Konvents. Im folgenden Vortrag beschäftigte sich EDWIN ERNST WEBER (Sigmaringen) mit dem Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen und dessen geistlichem Leben sowie klösterlichem Alltag. Weber erörterte in seinem Vortrag zwei Aspekte, zum einen die internen Konflikte des Stifts und zum anderen die externe Bedrohung der Konventsordnung. Anhand der Klageschrift einer Nonne Inzigkofens sowie der Inzigkofener Chronik verdeutlichte er den Umgang im Inneren des Klosters mit der äußeren Bedrohung. Dabei wurde an der „Hochleistungsfrömmigkeit“ interne Kritik geübt, da etwa die exzessiven Gebetsleistungen im Schichtdienst oft unordentlich ausgeführt würden. Offenbar herrschte eine deutliche Spaltung zwischen älteren und jüngeren Nonnen, wobei letztere vielzählige „Verfehlungen“ begangen haben sollen. Einen anderen Schwerpunkt setzte JANINE MAEGRAITH (Wien), die sich in ihrem Vortrag mit der wirtschaftlichen Bedrohung der Frauengemeinschaft in Gutenzell nach 1803 beschäftigte. Maegraith hob hervor, dass das Kloster Gutenzell besonders durch selbstbewusste Persönlichkeiten geprägt war, was sich etwa im Vorgehen der Äbtissin Maria Justina von Erolzheim zeigte. Die Konventswirtschaft Gutenzells geriet zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Kritik, da steigende Ausgaben und Kosten sinkende Einnahmen gegenüberstanden, was zu einer Debatte zwischen aufgeklärten und feudalen ökonomischen Vorstellungen führte. Das Kloster beziehungsweise die Äbtissin, die letztere Richtung vertrat, forderte eine Kontinuität für ihr Kloster, etwa durch neue Stiftungen, Graf Toering wollte jedoch nicht in das Kloster investieren. Maegraith betonte hierbei den Dualismus und vor allem auch die Genderfrage; es standen sich nicht nur zwei unterschiedliche Ansichten gegenüber, sondern, mit der Äbtissin und dem Grafen, auch zwei Geschlechter. Es kam zu einer weltlichen Visitation mit einem Verhör, was letztendlich dazu führte, dass 1804 eine neue Wirtschaftsordnung erstellt wurde, wobei die Äbtissin nicht mehr für die Wirtschaftlichkeit ihres Klosters zuständig war: Sie wurde als weltliche Herrscherin im Konvent entmachtet, die Kontrolle über die Ökonomie geriet gänzlich in gräfliche Hand.

Die vierte und letzte Sektion fokussierte Wandel und Kontinuität vor dem Hintergrund der Klosteraufhebungen. Den ersten Vortrag dieser Sektion hielt UTE STRÖBELE (Freudenstadt / Tübingen) über die josephinischen Reformen in den vorderösterreichischen Drittordensklöstern. Diese unterlagen oft keiner strengen Klausur und die Klosterschwestern trugen zur Aufrechterhaltung ihrer Klöster durch Arbeit und Dienst bei. Da die Kommunitäten sozial aktiv (Unterricht und Krankenpflege) waren und durch die Tätigkeiten der Schwestern einen wirtschaftlichen Faktor darstellten, galten sie als „nützlich“. Trotz allem wurden die Klöster letztlich aufgehoben und den Schwestern wurde ein Ultimatum von fünf Monaten gestellt, um ihre Klöster zu verlassen, mit der Option aus- oder etwa in ein anderes Kloster überzutreten. Die Schwestern wollten ihr Klostergebäude allerdings nicht verlassen und reagierten entsprechend: Sie verfassten Bittschriften, um die Schließung der Klöster zu verzögern. Diese Taktik war jedoch vergebens und die Klostergebäude wurden 1782 geräumt. Der Beitrag von SOPHIE PRASSE (Ludwigsburg) thematisierte das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der Frauengemeinschaften der oberschwäbischen Zisterzienserinnenklöster Heggbach und Heiligkreuztal nach ihrer Aufhebung 1803. Verschiedene Beispiele aus den beiden ehemaligen Frauenklöstern verdeutlichten einerseits, dass sich die Frauen mit ihrer Entscheidung, auch nach der Aufhebung ihrer Klöster weiter als Gemeinschaft zusammenzuleben, ihre Identifikation als Konvent bewahrten. Dieser innere Zusammenhalt sicherte nicht nur den Lebensunterhalt der ehemaligen Nonnen, sondern garantierte zugleich die Stabilität der Gemeinschaften, die ohne neue Novizinnen zum langsamen Aussterben verurteilt waren. Andererseits wurden die überdauernden Gemeinschaften besonders von außen durch die neuen Landesherren, beispielsweise durch ausbleibende Pensionszahlungen oder massive Eingriffe in ihren spirituellen Alltag, aber auch von innen heraus, durch Flucht oder Austrittsgesuche einzelner Nonnen, vor existenzielle Herausforderungen gestellt. Die ehemaligen Konvente mussten in diesem Kontext neue Strategien der Kommunikation und Mechanismen der Erhaltung entwickeln, um in den grundlegend gewandelten Verhältnissen bis zu ihrem endgültigen Ende zu bestehen. CLAUDE MULLER (Straßburg) befasste sich mit der Säkularisation von Frauengemeinschaften im Elsass. Er gliederte seinen Vortrag in drei Teile: die geografische Verortung der Frauenkommunitäten im Elsass, die Schließung der Frauenklöster und das nachklösterliche Leben der Nonnen und der Verkauf der Klöster. Etwa hundert elsässische Nonnen lebten in Klöstern, die nicht im Elsass lagen, weswegen sie nach der Klosteraufhebung zurück ins Elsass kamen und versorgt werden mussten. Ab 1790 führten Kommissare Visitationen durch und erstellten ein Inventar der Klöster. Dabei fiel auf, dass die meisten Nonnen ihre Klöster nicht verlassen und auch nicht mit anderen Ordensschwestern zusammenleben wollten, wie es etwa in Beispielen der Vorträge von Christine Schneider und Edwin Ernst Weber dargelegt wurde. Nach der Aufhebung der Klöster kehrten Schwestern, denen es möglich war, zu ihren Familien zurück. Andere wiederum wurden von anderen Nonnen aufgenommen. Durch den Verkauf der Klöster wurde die Pension jener Nonnen bezahlt, die dem Staat die Treue geschworen hatten. Den Schlussakzent der Tagung setzte DIETMAR SCHIERSNER (Weingarten) auf das Thema „Exportschlager Damenstift“, wobei er vom Aspekt der Bedrohung abwich. Schiersner stellte fest, dass sich das Fortbestehen der Damenstifte vor allem im protestantischen Bereich beobachten ließ. Gerade adlige Kreise sahen in den Damenstiften jener Zeit eine gute Versorgungsmöglichkeit für ihre Töchter, die soziale Funktion der Stifte war also für den Adel von entscheidender Bedeutung. Eine Möglichkeit für katholische Damenstifte, der Auflösung zu entgehen, war daher ein Konfessionswechsel zum evangelischen Glauben. Katholische und evangelische Damenstifte unterschieden sich in der Lebensweise in dieser Zeit allerdings kaum.

Konferenzübersicht:

Sigrid Hirbodian (Tübingen): Begrüßung und Einführung

Sektion 1: Die Zeit von Aufklärung und Säkularisation – Europäische und Württembergische Kontexte
Leitung: Sabine Holtz (Stuttgart)

Amelie Bieg (Würzburg): „Mit der Neuen Gottesdienst Ordnung ist bey Uns Niemand zufrieden“. Konflikte um aufgeklärte Reformen im katholischen Frömmigkeitswesen in Württemberg (1802/3–1848)

Dennis Schmidt (Hagen): „Allein das Mönchsweiblein ist minder unflätig“. Nonnen in der antimonastischen Publizistik der Aufklärungszeit

Sektion 2: Aufklärung und Säkularisation als Bedrohung geistlicher Lebenswelten – Frauen- und Männerstifte im Vergleich
Leitung: Sigrid Hirbodian (Tübingen)

Wolfgang Wüst (Erlangen-Nürnberg): Herzflimmern – Korrespondenz aus süddeutschen Frauen- und Männerklöstern vor der Säkularisation

Tjark Wegner (Tübingen): Reform, Reformation und Säkularisation als Bedrohung geistlicher Lebenswelten im Spiegel neuzeitlicher Stiftschroniken

Sektion 3: Klösterliche Lebenswelt am Vorabend der Säkularisation
Leitung: Joachim Brüser (Tübingen / Stuttgart)

Christine Schneider (Wien): „War gar kein Gottesdienst, weil alles verboten ...“. Die Konventchronik der Wiener Ursulinen (1770–1795)

Edwin Ernst Weber (Sigmaringen): Hochleistungsfrömmigkeit und religiöse Individualisierung. Geistliches Leben und klösterlicher Alltag im Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen am Vorabend der Säkularisation

Janine Maegraith (Wien): Die Umordnung der Wirtschaft: von Klosterwirtschaft zu wirtschaftlicher Bedrohung der Frauengemeinschaft in Gutenzell nach 1803

Sektion 4: Klosteraufhebungen – Wandel und Kontinuität
Leitung: Gisela Muschiol (Bonn)

Ute Ströbele (Freudenstadt / Tübingen): „Gelassen und ergeben“? Vorderösterreichische Drittordensklöster und die josephinischen Reformen

Sophie Prasse (Ludwigsburg): Die Zisterzienserinnen in Heggbach und Heiligkreuztal im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel nach 1803

Claude Muller (Straßburg): Säkularisation von Frauengemeinschaften im Elsass

Dietmar Schiersner (Weingarten): Auslaufmodell und Exportschlager – Damenstifte des 18. Jahrhunderts in überkonfessioneller und überregionaler Perspektive

Abschlussdiskussion
Leitung: Gisela Muschiol (Bonn)

Redaktion
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